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Teil 26 – In der Warteschleife des Sozialgerichts Stuttgart

Der letzte Eintrag hier war am 04. Dezember 2021 (Teil 25 – Wenn schwarz weiß ist und weiß schwarz). Und das hat seine Gründe.

Zweieinhalb Monate zuvor – am 21. September 2021 – hatten wir beim Sozialgericht Stuttgart Klage gegen  die Deutsche Rentenversicherung eingereicht.

Diese hatte unseren Widerspruch zurückgewiesen und den Status für meine 22-jährige Mitarbeit beim SWR erneut als selbständige Tätigkeit festgelegt.
Somit läge keine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung vor.

Zur Erinnerung:

Ich musste die Deutsche Rentenversicherung mit einem Urteil vorm Bundessozialgericht zwingen, dass sie überhaupt erst ihrer Arbeit nachkommt und meine Statusfeststellung betreibt. Sie hatte sich siebeneinhalb Jahre dagegen gewehrt, während sie echte Selbständige regelmäßig in die Sozialversicherungspflicht zwingen will. Ich habe einige Fälle dokumentiert.

 

Ganze vier Monate nach unserer Klageeinreichung erreichte meinen Anwalt am 02. Februar 2022 ein Schreiben des Vizepräsidenten des Sozialgerichts Stuttgart.

Darin heißt es:

Sehr geehrte Damen und Herren,
Der Rechtsstreit ist zur mündlichen Verhandlung vorgemerkt.
Ein genauer Termin kann noch nicht in Aussicht gestellt werden. Aufgrund der coronabedingten Einschränkungen schlägt das Gericht vor, gern. § 124 II SGG ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden. In diesem Fall könnte voraussichtlich eine Entscheidung früher erfolgen. Sofern damit Einverständnis besteht, wird um kurze Rückmeldung gebeten.

Mit freundlichen Grüßen
Birn
Vizepräsident des Sozialgerichts

 

Wie gesagt, für diese Antwort brauchte es vier Monate. Aber der rotmarkierte Passus ließ hoffen.
Das Sozialgerichtsverfahren war zu diesem Zeitpunkt bereits im elften Jahr.
Doch die Hoffnung war trügerisch. Es passierte lange Zeit überhaupt nichts.

Drei Monate nach dem „Hoffnungsschreiben“, am 11. Mai 2022, fragte mein Anwalt beim Sozialgericht Stuttgart nach, wann mit einer Entscheidung zu rechnen sei.

Eine Woche später die Antwort:

… Die Kammer beabsichtigt im Juni, spätestens im Juli 22 zu entscheiden.

 

Entschieden wurde entgegen der Ankündigung jedoch nicht.

Am 12. August 2022 fragt mein Anwalt erneut an:

… hatte das Gericht angekündigt, bis spätestens Juli 2022 zur Sache zu entscheiden. Wir dürfen erinnern.

 

Die Antwort kam prompt nach 12 Tagen:

Die geplante Sitzung im Juli kam nicht zustande. Die Kammer wird vorraussichtlich (sic!) auf der Sitzung im September entscheiden.

 

Auch hier: Entschieden wurde entgegen der Ankündigung nicht.

Mein Anwalt blieb ebenso geduldig wie höflich und schrieb dem Sozialgericht Stuttgart am 12. Oktober 2022:

 … fragen wir nach, ob in der Sache zwischenzeitlich eine Entscheidung ergehen konnte. Diese war zuletzt für den Monat September angekündigt.

 

Die Antwort vom 08. November 2022 – nach vier Wochen nicht mehr ganz so prompt:

 „… in der Kammerplanung ist es infolge einer Erkrankung zu Verwerfungen gekommen. Das Verfahren wird auf die nächste Rentensitzung terminiert.

 

Wann die nächste Rentensitzung anberaumt sein sollte, wird im Schreiben vorsorglich nicht vermerkt.
Zu Recht, wie sich hinterher herausstellen sollte. Das Gericht ruht still und schweiget …

Das neue Jahr 2023 wurde zwischenzeitlich 4 Wochen alt. Eine gute Gelegenheit also, meinen Anwalt über meine ebenso zwischenzeitlichen Erfahrungen mit dem Sozialgericht Stuttgart in Kenntnis zu setzen.
Meine Mail vom 27. Januar 2023 an ihn:

 …
nur zu Ihrer Information:

Am 14. 12.22 hatte ich eine Mail an das SG Stuttgart geschickt mit der Bitte um Auskunft, wann unser Verfahren nach all den Verschiebungen denn nun auf die Terminliste kommt. Eine Antwort erhielt ich nicht.

Am Montag hatte ich beim SG Stuttgart angerufen und nachgefragt. Von meiner Mailanfrage hatte man dort offensichtlich keine Kenntnis. Die Sachbearbeiterin hatte mich gebeten, den Donnerstag darauf – das war gestern – nochmals nachzufragen. Sie werde den Vorgang mit Vermerken belegen und dem Richter (der scheint schon festzustehen) vorlegen.

Gestern hatte ich erneut in Stuttgart angerufen, aber eine andere Sachbearbeiterin am Telefon.
Sie wusste von einem Vermerk ihrer Kollegin nichts.

Sie hat mich aber darauf hingewiesen, dass Sie am 24.01.23 eine erneute Nachfrage an das SG Stuttgart gerichtet haben. Danke dafür nochmals.

Ich habe gestern in aller Kürze, Höflichkeit und Zurückhaltung der Dame den Sachverhalt dargestellt, mitgeteilt, dass das Verfahren im März in das 13. Jahr geht und nebenbei den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren erwähnt. Sie entnahm der Akte, dass der Fall beim SG Stuttgart bereits seit 2020 anhängig ist.
Auch diese Dame hat mir versichert, was die vorherige bereits angekündigt hatte.

Mal sehen, wie es weitergeht.

 

Dann überraschenderweise eine Antwort vom Gericht:

… eine Entscheidung ist für 24.2. 23 vorgesehen.

 

Die angekündigte Entscheidung fällt in der Tat am 24. Februar 2023. Sie scheint aber einer bisher nicht bekannten Geheimhaltung zu unterliegen. Mein Anwalt informiert mich am 02. März 2023:

… vor wenigen Tagen habe ich versucht, die Entscheidung, die in Ihrer Sache ergangen sein sollte, telefonisch beim Sozialgericht Stuttgart abzufragen. Die Geschäftsstellenbeamtin war nicht informiert, was durchaus vorkommt und versprach einen Rückruf. Jetzt habe ich das beiliegende Schreiben vom 28.02.2023 erhalten, das ich in dieser Form auch noch nicht gesehen habe. Danach soll die Entscheidung erst nach der Abfassung des schriftlichen Urteils bekanntgegeben werden, was vermutlich bedeutet, dass das Urteil noch nicht verkündet wurde. Naja…

In der Natur gibt es Fälle, bei denen auf den Winterschlaf durchaus die Frühjahrsmüdigkeit folgt.
Mein Anwalt fragt bei Gericht am 05. April 2023 an:

… war zuletzt eine Entscheidung für den 24.02.2023 angekündigt. Als wir im Anschluss an diesen Termin das Gericht fernmündlich kontaktiert hatten, um die Entscheidung abzurufen, erreichte uns die Mitteilung, die Entscheidung könne erst nach der Abfassung des Urteils bekanntgegeben werden.
Seitdem ist ein weiterer Monat ohne irgendeine Nachricht des Gerichts vergangen.
Wir dürfen diese Angelegenheit erneut in Erinnerung rufen.

 

Nach mehreren Telefonaten meinerseits mit dem Gericht und – nicht überraschend – unterschiedlichen Antworten informiert mich mein Anwalt am 23. Mai 2023 – 20 Monate nach Klageeinreichung – und kommentiert wie folgt:

Sehr geehrter Herr Kissel,

 zwischenzeitlich liegt hier das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vor. Sie finden ein Doppel in der Anlage. Die Klage wurde erwartungsgemäß abgewiesen. An dieser Stelle bin ich nicht überrascht, wohl aber bin ich von der Begründung des Urteils unangenehm berührt.

1.

Das Sozialgericht stellt eine sehr weitgehende Verbindung zu den Urteilen der Arbeitsgerichte her. Wie die Arbeitsgerichtsbarkeit auch, geht das Sozialgericht davon aus, dass Sie programmgestaltend tätig waren und schließt hieraus auf eine freie Mitarbeit. Dies halte ich für verfehlt. Mein (verfassungsrechtliches) Anliegen bestand darin, klarzumachen, dass die vom Bundesverfassungsgericht für die Rundfunkanstalten herausgearbeiteten Privilegien zwar eine erleichterte Beschäftigung arbeitsrechtlich freier Mitarbeiter möglich machen muss, nicht aber zugleich als nicht sozialversicherungspflichtig. Das eine hat mit dem anderen aus meiner Sicht nichts zu tun. Auf dieses Argument geht das Sozialgericht mit keinem Wort ein.

2.

Bei seiner Begründung dafür, dass Sie nicht in die Arbeitsorganisation eingebunden waren, macht sich das Sozialgericht beinahe ausschließlich die Argumente des SWR zu eigen. So verneint es das Vorliegen eines Wettbewerbsverbots, die Pflicht zur Tätigkeit „aus dem Büro heraus“ und dergleichen mehr. Selbst da, wo wir sehr klar belegt haben, dass die entsprechenden Verpflichtungen bestanden.

Dies ist einigermaßen befremdend, weil sich das Gericht noch nicht einmal mit den Belegen auseinandersetzt, die wir zur Akte gereicht haben.

Insgesamt bekommt man den sehr klaren Eindruck, dass das Sozialgericht den Fall so schnell wie möglich vom Tisch haben und dabei an keiner Stelle anecken wollte. Dies hinterlässt einen doch bitteren Geschmack.

3.

Gegen das Urteil des Sozialgerichts ist die Berufung zulässig. Die Berufung müsste dabei spätestens am 17.06.2023 beim Landessozialgericht eingereicht sein. Ich gehe davon aus, dass wir auch in diesem Verfahren den Weg durch die Instanzen gehen müssen. Sofern ich nichts anderes von Ihnen höre, gehe ich davon aus, dass Berufung gegen das Urteil eingereicht werden soll.

 

Mein Anwalt durfte davon ausgehen.
Am 14.06.23 ist die Berufung beim Landessozialgericht Stuttgart eingegangen.

Zeit läuft.

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